A: Wir haben jetzt einen Purpose-Prozess im Unternehmen gestartet. Endlich! Das wurde mal Zeit, dass wir auf den fahrenden Zug aufspringen, gehört ja mittlerweile einfach dazu, dass man den Purpose definiert hat und damit arbeitet.
B: Echt, da macht ihr mit? Wenn ich ehrlich bin, macht mich dieser Trend ziemlich skeptisch! Er kommt in feinem Kleid daher, aber dahinter steht ja doch nicht die Frage nach dem gesellschaftlichen Nutzen, sondern eine neue Marketing-Kampagne, die wieder nur die Zahlen im Sinn hat.
A: Das seh‘ ich aber anders! Natürlich wird der Purpose auch im Marketing verwendet, aber in erster Linie geht es doch darum, dass die Führung und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich darüber klar werden, für welchen Zweck sie all die Arbeit machen und warum ihre Arbeit sinnvoll ist. Es ist doch nicht alles schlecht, nur weil es dem Profit dienlich ist! Das wäre zu einfach!
B: Ja aber kann es denn wirklich um den Nutzen, den Sinn gehen, wenn es schon als ein trendiger „Erfolgs-Faktor“ verkauft wird? Ich habe gerade erst einen Artikel (1) darüber gelesen, der schon damit startete, dass diverse Studien darauf hindeuten, dass Unternehmen finanzielle Vorteile erlangen, wenn sie sich mit ihrem Purpose auseinandersetzen und diesen kommunizieren. Da ist doch der Impuls ein falscher. Ich kann doch nicht die Sinn-Frage stellen, um damit erfolgreicher zu werden. Ich muss doch erst etwas aus einem Zweck heraus tun, aus einer Notwendigkeit – und das kann dann zum Erfolg führen. So kann ich es doch nur in einen Topf werfen mit Greenwashing, mit all den CSR-Kampagnen, die Unternehmen in gutem Licht dastehen lassen, obwohl sie im Hintergrund fragwürdige Machenschaften vertuschen. Ein neues Buzzword eben. Alter Wein in neuen Schläuchen!
A: Ich finde du siehst das zu schwarz. Es ist doch wichtig zu sehen, wie dieser Trend entstanden ist. Aaron Hurst, der Autor von „Purpose Economy“ (2), beschreibt die vierte ökonomische Ära, die von der Frage nach dem Purpose getrieben ist (3). Er beschreibt es als ein dringendes Anliegen der Menschen, ihren Purpose zu erkennen, einen Purpose in ihrer täglichen Arbeit zu finden. Das hat einen immensen Einfluss auf die Motivation und Zufriedenheit bei der Arbeit und somit auch auf die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und noch viel zentraler ist das bei der jungen Generation, der Generation Y, den Millenials. Hier sagt er, dass ihr Hauptanliegen, die Hauptfrage lautet „Am I gonna have a life, that matters?“. Und da geht es schon lange nicht mehr um das höhere Gehalt, um den Erfolg irgendeines Unternehmens. Insofern kommt diese Bewegung, dieser Trend ja aus einem ganz anderen Impuls, einem, dem du doch wohlgesonnen sein müsstest?
B: Dem Impuls, der eigentlichen Frage bin ich wohlgesonnen, aber sie wird aus meiner Sicht missbraucht. Sie wird verwendet, um die bestehende Wirtschaft, das bestehende System zu legitimieren und die Missstände zu übermalen mit bunten, sinnvollen Argumenten. Und das ist doch umso gefährlicher! Denn das heutige System kann so nicht weitergehen, da müssen wir ansetzen, das müssen wir richten, sozial und ökologisch nachhaltiger gestalten, dann erst können wir über Selbstverwirklichung und ähnliches nachdenken. Doch wird das versteckt, verwischt, dann wird es problematisch, weil die Probleme nicht mehr an der Oberfläche sind.
A: Kann nicht auch der Umweg ans Ziel führen?
B: Wie meinst du das?
A: Ich meine es so: selbst wenn Unternehmen sich mit dem Thema Purpose befassen um erfolgreicher im monetären Sinne zu sein, – woran ich nichts Verwerfliches finde – kann es doch auch positive Nebeneffekte haben? Es kann Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern helfen, Purpose in ihrer täglichen Arbeit zu finden, da sie erkennen, was der gesellschaftliche Beitrag ist, oder es kann zu insgesamt zufriedeneren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern führen und das kann doch nicht falsch sein!
B: Ist das nicht zu kurz gedacht? Ja, es ist eine Sache, wenn Start-ups oder Sozialunternehmen sich bei Ihrer Gründung mit diesen Fragen beschäftigen, da passt das zusammen. Aber ein Großkonzern der darauf ausgerichtet ist, den Shareholder-Value zu maximieren soll sich plötzlich mit seinem Purpose beschäftigen? Das ist für mich nicht glaubwürdig. Wenn das eigentliche wirtschaftliche Ziel die Gewinnmaximierung ist.
A: Purpose heißt ja nicht für alle das gleiche, Purpose lässt sich ja sowohl in zwischenmenschlichen Beziehungen, in der Erschaffung von etwas, das größer ist als man selbst als auch in persönlicher Entwicklung und Herausforderung finden – so beschreibt es Hurst (2). Also Menschen können durchaus Purpose in ihrer Arbeit erleben, auch wenn das Unternehmen die Gewinnmaximierung zum Ziel hat.
B: Ja dem stimme ich zu, sehe aber genau da die Problematik, da die Purpose-Thematik nicht grundlegend die Frage stellt, ob es an der Zeit ist, Unternehmen nach anderen, nachhaltigen Zielen auszurichten. Da gibt es Initiativen, die setzen viel näher am Kern an, wie zB die Purpose-Stiftung (4), die sich für eine neue Gesellschaftsform einsetzt, der des Verantwortungseigentums. Hier geht es genau darum, dass Gewinne nicht einzelnen Menschen dienen, sondern dem eigentlichen Unternehmenszweck. So eine Idee setzt dort an, wo sich wirklich etwas ändern kann – die Beschäftigung mit dem Purpose bewegt sich doch nur an der Oberfläche, an dem äußeren Anstrich!
A: Ich verstehe, was du meinst. Und doch bin ich der Meinung, dass wir nicht alles umkrempeln müssen, dass diese Bewegung großes Potenzial hat und durch solche Fragen auch Dinge in Bewegung kommen. In einem so eingespielten System können wir nicht einfach mal alles ändern, das ist naiv, die Dinge hängen miteinander zusammen und haben sich aus guten Gründen über lange Zeit hin so entwickelt. Und außerdem: Nicht jeder möchte gleich die Welt retten, aber die Menschen wollen sehen, dass ihre Arbeit sinnvoll ist, selbst wenn es nur wenigen Menschen das Leben ein wenig angenehmer macht. Es kann ja nicht bei jeder Arbeit um das Retten von Menschenleben gehen – wer würde dann den Rest tun? – und nebenbei gesprochen arbeitet nicht jeder Arzt oder jede Ärztin in diesem Beruf, um Leben zu retten, für manche ist es auch einfach ein Job oder ein Beruf mit Prestige – das ist nicht so einfach zu kategorisieren.
Aber – so spannend unsere Diskussion ist – muss ich sie leider hier unterbrechen. Die Arbeit in einem Unternehmen ganz im Sinne der Gewinnmaximierung ruft (lacht).
B: Alles klar, dann maximiere mal weiter den Gewinn (lacht). Ich geh derweil die Welt retten!
Quellen
1: Anne M. Schüller, 2020: Andersmachen (3/2020): Purpose statt Leitbild: Wie Unternehmen sich neu erfinden. Abgerufen von: https://www.xing.com/news/insiders/articles/andersmachen-3-2020-purpose-statt-leitbild-wie-unternehmen-sich-neu-erfinden-2989105
2: Aaron Hurst, 2016: The Purpose Economy, Expanded and Updated: How Your Desire for Impact, Personal Growth and Community Is Changing the World. https://www.amazon.de/Purpose-Economy-Expanded-Updated-Community/dp/194342599X
Google Talks 2014, Aaron Hurst, The Purpose Economy:
The Purpose Economy | Aaron Hurst | Talks at Google
3: Dominik Vecen, 2016: Driven by Purpose: Eine neue Ära. Abgerufen von: https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/driven-by-purpose-eine-neue-aera/
4: Purpose Economy, 2020: Eigentum für eine nachhaltige Wirtschaft: https://purpose-economy.org/de/
Blog Serie: Streitgespräch
Hier unterhalten sich Anke, Bert und ihre Kolleg:innen regelmäßig über aktuelle Themenstellungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Sie sind selten einer Meinung, aber das macht es umso spannender! Sie zeigen uns die Vielseitigkeit der Perspektiven und bringen uns im besten Falle zu der ein oder anderen neuen Erkenntnis! Denn gerade von der „Gegenseite“ lässt sich ja bekanntlich viel über sich selbst lernen!
Zwar sind sie nur meiner Fantasie entsprungen, doch vielleicht lösen sie in ihrer Argumentationsweise die ein oder andere Erinnerung an Ihre Kolleg:innen oder Freund:innen aus? Und vielleicht finden Sie ein gutes Argument für Ihre nächste Diskussion?
Anke, 39, hat eine erfolgreiche Karriere in einem globalen Industrie-Konzern hingelegt und ist nun als Leiterin der internationalen HR tätig und damit sehr zufrieden. Sie interessiert sich für neue Arbeitswelten, wenngleich ihr manches, was so aus dem hippen und jungen Berlin herüberschwappt, auch zu extrem ist.
Bert, 45, arbeitet als selbstständiger Berater in Personalfragen (daher kennen sich die beiden). Er hat selbst in einem Corporate-Umfeld gestartet, aber schnell gemerkt, dass das nicht seine Welt ist und hat sich als HR-Berater und Coach selbständig gemacht. Er ist froh, dass die Wirtschaft sich an einigen Stellen zu wandeln beginnt, denn er macht sich große Sorgen um die Zukunft. Die Themen Nachhaltigkeit und Gemeinwohl liegen im sehr am Herzen.